„Jetzt putz dir erst mal die Nase und atme tief durch! Ich verstehe ja kein Wort. Du bist ja ganz aufgelöst?“, Raffaella streichelt den Bildschirm. Es ist Montagmorgen, ich sitze in London an unserem Küchentisch und skype mit Raffaella. Und da haben wir schon das dicke Contra vom Skypen am Wickel: Es ist zwar irre praktisch und kostenlos, aber man sieht halt auch alles. In diesem Fall sieht sie eine verheulte, Mascara verschmierte und schluchzende Lucie, der die Nase läuft und die einen monday meltown hat. Not pretty.
Wir hatten ein herrliches Wochenende. Die Sonne schien, wir waren im Zoo. Sam hat seine geliebten Warane gesehen, und obwohl sie nicht ganz so groß waren wie in der BBC Dokumentation und nur unter einer warmen Lampe schliefen, war er doch beeindruckt.
Und der Zoo ist zauberhaft. Kleiner als der Berliner Zoo, aber irrsinnig liebevoll gestaltet and I just looove the humor.
Am Sonntag haben wir auf Sams Lieblingspiratenschiff in den Kensington Gardens ein Picknick gemacht und als es uns zu kalt wurde, sind wir auf unsere Couch umgezogen. Alles in allem ein Top-Eingewöhnungswochenende. Aber Sam ist müde. Er schläft 12 Stunden am Stück, immer unruhig und immer angedockt an uns. Seine Lieblings-Schlafstellung: Er rammt mir seinen Windelpo in den Bauch und verhakt seine Füße in meinen Beinen, den Kopf schiebt er unter Marcs Arm und am liebsten schlägt er ihm nachts mit der flachen Hand ins Gesicht. Wahrscheinlich, um sich zu vergewissern, dass es auch wirklich sein Papa ist. Marc ist jeden Morgen erleichtert, wenn er noch alle Schneidezähne hat.
Montagmorgen ist sein erster Satz nach dem Aufwachen: „Ish will nish in die Kita!“ Das kenne ich auch von Berliner Montagen. Nach dem Wochenende ist der erste Arbeitstag immer gemein. Eigentlich hatte er sich auf seine neuen Freunde gefreut. Auf Avi und Jimmy, die in seiner Klasse sind. Und die er schon zu sich einladen wollte. Aber davon will er heute nichts mehr wissen. Beim Anziehen lautes Geschrei, beim vor die Tür gehen anhaltendes Geschrei, im Bus findet er es wieder ganz lustig. Ich schlage vor: „Ich setz mich da auch gerne ein bisschen mit hin, Sam. Und dann gehe ich, wenn du mit Avi und Jimmy spielst.“ Seine Antwort: „No!“
Wir gehen in die Kita, er findet es eigentlich wieder toll und will, dass wir seine Hausschuhe jetzt immer da lassen und rennt gleich zu Avi. „Geht doch“, denke ich, „typischer Montagmorgen halt.“ Aber dann kippt seine Stimmung schlagartig und Sam klammert sich an mich. Er schreit und ich lasse mich darauf ein, noch ein Buch zu lesen. Dann will ich gehen, er sitzt schluchzend auf meinem Schoß, hält sich an meinen Haaren fest und sagt: „Mama, ish bin ganz leise wenn du arbeite musst. Ish ßpiele ganz alleine. Wirklish.“ Oh Gott, mein Mutterherz krampft und ich weiß nicht was ich tun soll.
Die Lehrerin Amanda ist irre nett („You take your time and when you are ready, you tell me.“) Nur leider bin ich heillos überfordert! Sam hat einen wahnsinnig starken Willen. Spielt er den gerade aus? Ist er wirklich einfach so erschöpft, dass er noch eine Runde Couch braucht? Erwarte ich zu viel? Bin ich zu ungeduldig? (Zuhause liegt mein Buch mit Anmerkungen meiner Lektorin und Ende der Woche muss ich es überarbeitet haben.) Was ist jetzt richtig?? Wenn ich ihn jetzt wieder mitnehme, ist es dann jeden Morgen so? Ruiniere ich mit der heutigen Aktion sein Urvertrauen? Ab vier Jahren soll ja das Erinnerungsvermögen bei Kindern einsetzen. Oh Gott, er ist doch gerade vier geworden… Ich hätte gerne ein manual! Instructions! Eine guideline! Mein Kopf rotiert und ich bin wie gelähmt. Das ist nicht besonders hilfreich.
Amanda kommt und zeigt Sam ihre große Uhr: „Look, sweetheart, it is not long. You can always come and check my watch and I` ll show you when mommy will be back.“ Zauberhafter Versuch, führt aber nur zu noch mehr Geschrei. Ich habe das Gefühl, ich muss jetzt gehen, sonst wird es nur noch schlimmer. Ich übergebe den schreienden Sam, der um sich schlägt und mir zum Abschluss noch eine Ohrfeige verpasst. Ich gehe um die Ecke und höre wie Amanda ihn beruhigt. Im Flur stehen die Direktorin und eine weitere Lehrerin. „Gosh, it is always so difficult to say. Better to take him home today? Better to leave him? Why dont you wait here and we ’ll see how it goes.“ Auch das Fachpersonal weiß offenbar nicht weiter.
Sam beruhigt sich innerhalb von 2 Minuten. Die Direktorin lugt um die Ecke: „He is fine, he sits on Amadas lap and they are reading a book. I have your number. If there is any problem, I will call you right away.“
Jetzt stehe ich an der Tür und heule. „I am sorry“, schluchze ich und kriege die verdammte Tür nicht auf. Das war kein guter Start in den Tag. Sie beruhigt mich: „We are all moms, we know how that feels.“ Auf dem Rückweg heule ich Marc am Handy die Ohren voll: „Kannst du ihn bitte morgen bringen?“ „Scheiße, und ich muss doch morgen früh nach Amerika.“ Auch keine Lösung.
Zuhause trinke ich den kalten Kaffee und skype Raffaella an. Sie hört sich mein Gerotze und Geschluchze an.
„Lasst euch Zeit!“, sagt sie, „dann überarbeitest du das Buch halt am Wochenende. Und ehrlich gesagt, du scheinst auch noch nicht ganz angekommen zu sein. Ich sehe hinter dir eure Küche… da sieht es ja wild aus… Gab es da einen Clone War? Ich meine, Sam heult wenigstens und zeigt damit, dass es ihm zu viel ist. Wir Großen bekommen mit vierwöchiger Verspätung Verstopfungen!“
Ich schluchze ein bisschen vor mich hin, während Raffaella mir einen 1A pep talk gibt. „Stell dir vor, du bist jeden Tag 5 Stunden mit fremden Menschen zusammen, die dich verständnislos anstarren, weil sie dich nicht verstehen. Wie soll Sam sich da sofort geborgen fühlen? Rede mit ihm darüber, dass es sich komisch anfühlt und es ihn unsicher macht und er vielleicht ein bisschen Angst hat. Aber dass es auch lustig ist und spannend. Wie bei den Stars Wars Helden, die auf fremden Planeten neue Freunde finden.“
„Verflucht“, denke ich, „warum ist die nur so schlau? Hätte ich etwa doch die Bücher von Jesper Juul lesen sollen, die sie mir geliehen hat?“ Ich mache mir noch einen Kaffee und blättere die einschlägige Star Wars Literatur durch.
Als ich Sam um 12 Uhr abhole, hüpft er mir bestens gelaunt auf den Arm. „Mamaaaa“, quietscht er, „ish habe ein Monsta gemalt! Und weißt du was? Ish will jetzt jede Tag meine Star Wars T-Shirt in die Kita anziehe. Dann ist gut, ja, Mama?“
Oh Mann, der macht mich FERTIG!! Es lebe Star Wars! Und wenn ich jeden Abend das T-Shirt waschen und auf die Heizung legen muss, so machen wir es!
Tags: Schlechtes Mutter Gewissen waterloo
3 Comments
Hallo Lucie
Ich fühle mit dir mit, bei uns laufen die Montage ähnlich ab, wir haben natürlich nicht das Sprachproblem.
Unser Sohn ist auch im StarWars- Fieber, zur Unterstützung müssen immer zwei Lego Clonekrieger mit in die Kita.
Liebe Grüße
Simone
Lieeb Simone, Das beruhigt mich! danke! Eigentlich dürfen die Kinder hier keine Spielsachen in die Kita mit nehmen, aber heute Morgen hat sich Sam einen „magic stone“ in die Hosentasche gepackt. Falls es mal doof ist, dann kann er sich dran festhalten… Whatever helps! 🙂 Schönen Tag Dir! Lucie
Lucie, fühle mit Dir! Ich finde, Du machst alles großartig!
Alles Liebe nach London!
Penny