Es sollte ein entspannter Freitagnachmittag werden. Als Mutter weiß man, dass dieses Vorhaben eigentlich ein Widerspruch in sich ist.
Ich hatte Sam früher von der Kita abgeholt, also schon um halb drei. Und wir wollten zusammen einen Ausflug nach Wannsee machen. Meine Freundin Raffaella war vor 9 Monaten mit Mann und Tochter Greta aus Mitte geflüchtet und wir hatten es immer noch nicht geschafft sie zu besuchen. Man bewegt sich ja nur ungern aus seinem Kiez. Seit vier Monaten war sie auch noch zum zweiten Mal Mutter geworden – von Zwillingen (Oh Gott!!!). Unser Antrittsbesuch war absolut überfällig.
Die Fahrt dahin war easy. Sam findet S-Bahnfahren großartig. Wir steigen Wannsee aus und befinden uns in einer anderen Welt. Alles ist mindestens drei Dezibel leiser, es gibt tatsächlich Bäume (ist ja bei uns in Mitte eher rar), dafür aber auch keine Cafés, in denen man seinen überteuerten „Cappucino soya to go“ nur auf Englisch bestellen kann.
Raffaellas neues Zuhause ist ein zauberhaftes Hexenhäuschen mit eigenem Garten. Großartig, wenn man Hobbygärtner werden möchte. Wir sitzen im Garten bei Kaffee und Kuchen. Sie ist total entspannt – trotz Zwillinge: „Du, die Kinder sind viel ruhiger hier draußen.“ Tatsächlich spielt Sam mit seiner Freundin Greta ganz still außer Sichtweite im Vorgarten.
„Soll ich mal nach denen schauen?“, frage ich. „Nö, ist ja ein Zaun ums Grundstück“, winkt Raffaela ab. Ich lehne mich zurück. Mist, das hat schon was. In mir steigt langsam der Neid hoch. Ich kann mich gar nicht erinnern, wann ich das letzte Mal mit einer Freundin Kaffee getrunken habe, ohne dabei gleichzeitig Sam auf der Schaukel anzuschubsen.
Es ist herrlich. Wir quatschen ohne Unterbrechung und in ganzen Sätzen miteinander, die Zwillinge schlafen, die Vögel zwitschern. In Gedanken gebe ich bei Immoscout bereits eine Suchanzeige auf: Kleinfamilie sucht Haus in Wannsee!
Eine halbe Stunde später kommt Sam um die Ecke. Seine Haare hängen in Strähnen runter mit Matschklumpen an den Spitzen, sein einst blaues T-Shirt ist schlammbraun und nass, ebenso seine Hose, die ihm zwischen den Knien hängt. Die Windel ist bestimmt zum Bersten voll. In mir schrillen alle Alarmglocken. Aber ich reiße mich zusammen. Mach dich mal locker, du Stadtmutti! Ich bin ja quasi auf dem Land, was soll hier schon passieren? Die Kinder sauen sich halt mal ein.
„Was habt ihr denn gemacht?“, frage ich betont locker. „Mir habe Auto wasse“ antwortet Sam ganz stolz und versucht seine Hose hoch zu ziehen. Greta taucht hinter ihm auf. Sie sieht genau so verdreckt aus, versteckt sich aber hinter Sam. „Was habt ihr gemacht?“, hake ich nach. Land hin oder her, ich ahne Böses. Auch Raffaella guckt verwirrt. „Habe car wasse.“ Immer wenn ich nachfrage, übersetzt Sam mir netterweise das Wichtigste ins Englische. „Welches Auto habt ihr denn gewaschen?“, frage ich mit gequältem Lächeln. „Raffa Auto!“ sagt Sam und platzt fast vor Stolz. „Komme gucke, Mama!“
Rafaellas Auto???
Raffaella und ich hechten um die Ecke und tatsächlich: Die beiden haben ihr nagelneues anthrazit farbenes Auto so weit ihre Arme reichten mit Matsch eingeseift. Jetzt könnte man denken, naja, einmal Autowäsche und gut ist. Aber natürlich war der Matsch voller kleiner Kiesel, die dem neuen Auto ein 1a-Peeling verabreicht haben. Greta zeigt auf Sam und sagt: „War seine Idee.“ Die alte Petze. Ich stehe da und könnte heulen. Raffaelas Tiefenentspannung ist wie weggewischt, die Zwillinge brüllen so laut, das man keine Vögel mehr hören kann. Ich will hier sofort weg. Aber erst muss ich Sam noch die voll geschissene Windel wechseln und Rafaella gut zureden: „Den Lackschaden übernimmt bestimmt die Versicherung. Ich hake da gleich mal nach. Es tut mir tierisch leid.“
Anderthalb Stunden später bin ich völlig entnervt zu Hause, übergebe Sam seinem Vater und rufe die Versicherung an. Nach längerem hin und her verkündet mir die Dame am anderen Ende: „Frau Marshall, ich habe gute Nachrichten für Sie: Ihr Sohn ist mit knapp drei Jahren noch gar nicht schuldfähig, das heißt sie sind aus dem Schneider.“
Äh. Wie aus dem Schneider? Wer zahlt denn jetzt den Schaden? „Na, das ist ja nicht Ihr Problem. Ihr Sohn ist nicht schuldfähig.“ Ach, und jetzt soll ich meiner Freundin sagen, dass sie selber sehen soll, woher sie eine neue Lackierung bekommt? „Also, da kann ich Ihnen jetzt auch nicht weiterhelfen“, erklärt mir die Versicherungstante eingeschnappt.
Es ist tatsächlich so. Kinder sind erst ab dem elften Lebensjahr haftbar. Das heißt, man muss eine Sonderchaoten-Versicherung abschließen, damit solche Schäden übernommen werden. Darauf weist einen natürlich keiner hin. Ich bin am Ende. Ich habe keine Ahnung wie ich das Raffaella erklären soll. Ich setze mich auf den Balkon, zünde mir eine Zigarette an und trinke erst mal ein Glas Wein. Das hat man nun von einem Ausflug auf dem Land. Wir bleiben in Mitte wohnen.
P.S. Fortsetzung folgt
Tags: alles anders Chaot Erziehung
4 Comments
Herrje. So eine dumme Sache. War mir auch nicht bekannt, dass die Kids nicht versichert sind! Dabei machen die doch am ehesten Schaden. Ich frag mal bei unser Versicherung nach. Danke für den Tipp. Viel Erfolg und Feingefühl beim Umgang mit der Freundin. Hoffe, ihr findet eine Lösung für das Dilemma. Katrin
Danke! ich sage nur schummel, schummeln, schummeln…ist die Einzige Lösung….
In Deutschland gelten Kinder ab 7 Jahren als deliktsfähig, im rollenden Straßenverkehr ab 10. Es gibt eine Reihe von Haftpflichtversicherungen, die auch Kleinkinder mitversichern. Ansonsten zahlen Versicherungen immer, wenn ein Elternteil seine Aufsichtspflicht verletzt hat, denn dann ist ja der Elternteil auch für den Schaden verantwortlich . . .
Da hast Du total recht! Aber wir mussten…äh…sagen mir mal nen bisschen hin und her rücken, damit es passt….:-) und ich mußte unsere Versicherung tatsächlich „auftunen“. Denn wie Du sagst: Nicht jede bietet das an. Und automatisch schon mal gar nicht.