Ich sitze bei Raffaella am Wannsee im Garten. Das Auto ist vorsorglich in der Garage geparkt und weggeschlossen. Nicht, dass uns so ein Autoputz-Desaster mit Versicherungsterror noch mal passiert.
Auf dem Rasen spielen Raffaellas Tochter Greta und Sam miteinander, angeleitet von der 6-jährigen Nachbarstochter Vivi. Die Zwillinge (Lili und Moritz, mittlerweile knapp ein Jahr) robben durchs Gras. Kann man sich etwas Schöneres wünschen, als in der Sonne Kaffee zu trinken, inklusive Gratis-Babysitter? Ein Traum.
„Darf ich mal auf’s Klo?“, fragt Vivi. Raffaella nickt: „Du weißt ja, wo es ist, ne?“ 5 Minuten später kommt Vivi wieder, in der Hand hält sie eine kleine Dose. Sie stellt sich vor uns, öffnet die mit Tampons randvolle Dose und fragt: „Was ist das?“
Raffaella und ich schauen uns fragend an. Vivi ist sechs Jahre alt und kommt im Sommer in die Schule und sie weiß nicht was ein Tampon ist? Nach einer kurzen Pause sagt Raffaella: „Das ist ein Tampon.“ Vivi scheint das Wort zum ersten Mal zu hören. Sie nimmt eins raus, dreht es in ihrer Hand, begutachtet es von allen Seiten und fragt nach einer kurzen Pause: „Was macht man denn damit?“
Ich sehe Raffaella an, dass es in ihrem Hirn rattert. „Denk an Jesper Juul: Nur auf die Fragen antworten, die gestellt werden“, flüstere ich so leise es geht durch meine zusammen gebissenen Zähne.
Raffaella wirft mir einen Blick zu mit dem Titel: ‚Seit wann liest du denn die Bücher, die ich dir leihe?’, holt tief Luft und antwortet: „Das brauchen Frauen einmal im Monat.“
Gute Antwort. Ich hätte wahrscheinlich tierisch rumgestottert und angefangen ein Flipchart voll zu malen. Aber zum Glück ist das ja nicht meine Nachbarstochter. Ich bin aus der Nummer raus und kann mich zurücklehnen.
Aber Vivi lässt sich nicht so schnell abspeisen: „Was machen die Frauen denn damit?“ Oha, jetzt wird es natürlich knirsch. Was antwortet man denn jetzt?
Ich sehe, wie Raffaela die Schweißperlen auf die Stirn treten. Bin ich froh, dass Vivi nicht mich mit ihren knallblauen Augen anstarrt. Aber was wäre eine richtige Antwort? ‚Mamas bluten einmal im Monat’ hört sich so wahnsinnig dramatisch und nach Splatter an. Und vor allem macht es das Fass erst richtig auf. Denn die nächste Frage ist dann mit Sicherheit: „Warum denn“?“ und schwuppdiewupp ist man in einem Aufklärungsgespräch, für das aber eindeutig Vivis Mutter zuständig ist.
Oder stimmt das gar nicht? Ist es Mütterhoheitsgebiet das Aufklärungsgespräch zu führen oder ist das total veraltet und viel natürlicher, dass man das einfach unter Frauen (egal welcher Bekanntschafts – oder Verwandtschaftsgrad besteht) bespricht? Ich meine, Aufklärungsgespräche zwischen Müttern und Töchtern enden ja meist in entsetzlicher Peinlichkeit. Aber würde ich wollen, dass irgendeine Frau, die ich gar nicht kenne, meiner Tochter erklärt wie das mit der Menstruation funktioniert? Mmmhhh…
Um ehrlich zu sein, frage ich mich wie sie 6 Jahre lang ihrer Tochter Tampons verheimlichen konnte. Gut, vielleicht benutzt sie Binden, aber das hätte Vivi doch bestimmt mitbekommen und spätestens bei „Frauen brauchen das einmal im Monat“ eifrig genickt.
Sam kennt die Dinger schon seit Anbeginn. Wenn ich mit ihm alleine zu Hause bin, dann läuft er mir eh immer überall hinterher, natürlich auch besonders gerne auf die Toilette. Für ihn ist das nichts Besonderes. Neulich hatte er sich heimlich die Dose mit den Tampons im Bad geschnappt und seinen LEGO Bagger damit beladen. Das fand ich so lala und als ich sie ihm weg nahm und sagte: „Die sind nur für Mamas!“, war seine Antwort: „Das isse gemein. Das isse doch Esse für meine Tiere auf Bauerhof!“
Raffaellas Hirn rattert immer noch und ihr Mund bewegt sich stumm. Vivi hat jetzt entdeckt, dass man die Schutzfolie abziehen kann, was sie auch sofort tut, während sie weiterbohrt: „Wo tut man die hin? In den Po? Wie ein Zäpfchen?“
Ich glaube, jetzt würde auch Jesper ins Schwitzen kommen. Was sagt man oder frau da?
Sam und Greta kommen dazu. Greta nimmt Vivi das Tampon aus der Hand und ruft so laut, dass es auch noch drei Gärten weiter zu hören ist: „Das kommt doch in deine Scheide, Mama, ne?“ Sam sagt nur: „Nein, das isse Esse für Tiere.“ Vivi ist jetzt vollkommen verwirrt und Raffaella wünscht sich ans andere Ende der Welt.
Wäre man doch jetzt nur bei Jauch, dann könnte man den Telefon-Joker anrufen. Der müsste einem dann aus der Patsche helfen. „Es klingelt!“, Raffaella kreischt es fast und springt auf. Ich habe nix gehört. „Bist du sicher?“, frage ich. „GANZ sicher“, sagt sie und spurtet ins Haus.
Vivi steht völlig verloren im Garten die Hände voller Tampons und weiß auch nicht so recht. Das geht aber auch nicht. Entweder schenke ich ihr jetzt eine 10er Karte für die Therapie, die später ansteht wegen verkorkstem Körpergefühl, oder ich nehme mir ein Herz und höre auf, noch verklemmter zu sein als jeder Teenie.
Ich hole tief Luft und sage: „Vivi, das geht so: Um Babys bekommen zu können, veranstaltet der weibliche Körper einmal im Monat eine kleine Putzaktion, dabei fließt ein bisschen Blut und das will man ja nicht in der Hose haben. Das macht doch so doofe Flecken. Also fängt man es auf. Mit einem dickeren Tuch, einer Binde, oder einem Tampon, das ist wie ein ganz fest zusammengerolltes Tuch.“
Vivi schaut den Tampon an, dann mich und sagt völlig zufrieden „Ach so“ und geht wieder spielen. Ich bin total verdattert. So einfach war das?
Raffaella schleicht um die Ecke und ist sichtlich angetan: „Wow, nicht schlecht, Lucie!“ Jetzt werde ich rot. Nicht nur, dass ich gerade Vivi vor der sicheren Therapie gerettet habe, nein, meine Freundin Raffaella, die Jesper-Juul Göttin, meine Erziehungs-Beraterin lobt mich!! MICH!! Was für ein herrlicher Nachmittag!
Tags: Erziehung Jesper Juul Mutterwürde Traditionen
5 Comments
Huhu Lucie,
das ist mir glatt einen Retweet auf twitter wert. Ich glaube, mit der Tamponfrage gehen Mütter sehr unterschiedlich um. Meine drei Kinder haben alle sehr früh Tampons gesehen und auch den Einsatz interessiert verfolgt, wenn sie mir ins Bad hinterherliefen. Andere Frauen sind da vielleicht etwas reservierter, und dann wird’s auch später eventuell schwieriger mit dem Erklären?
So oder so, super, wie du das gemacht hast!
Lieben Gruss, Christine
Danke! Ja, ich war ein bisschen von meiner eigenen Verklemmtheit überrascht… 🙂
Herrlich! Und auch ich bin schon ziemlich in die Tamponfalle getappt. Wobei es im Nachhinein schon lustig ist wenn Du Deine Jungs dabei erwischt wie sie sich gegenseitig darin überbieten möglichst viele Tampons in den Mund zu stecken. Auf die vielen „Warum“- Fragen danach hätte ich allerdings gerne verzichtet (Aufklärung bei einem 2- und einem 4-jährigen ist aber auch echt tricky)….
Es ist übrigens insgesamt schon komisch dass einen die Auklärerei trotz aller Offenheit und „Coolheit“ so nervös macht. Ich werde nämlich nie vergessen wie meine Tochter eines morgens hinter mir stand (nachdem sie in den Nachrichten etwas von dieser Strauss-Kahn-Affäre mitbekommen hatte) und mich fragte: „Mama, was ist Oralverkehr?“… was sagst Du einer Achtjährigen dann?
Liebe Grüsse von Frau Süd
Oh, das ist natürlich echt eine krasse Frage mit dem Oralverkehr, die ja manch Erwachseer nicht ordentlich beantworten kann! 🙂
Mit der Aufklärerei ist echt spannend. In Südamerika wird der einritt der Periode bei Mädchen groß gefeiert und alle tragen rot und man isst nur rote Speisen. Ist die Klemmigkeit ein westliches Phänomen ?
Wahrscheinlich. Ich war eigentlich immer ganz sicher dass das alles kein Problem für mich werden würde, aber wenn Du dann vor Deinen eigenen Kindern sitzt, die heute irgendwie schon soviel und doch nichts wirklich wissen, dann ist es eine teils echt unangenehme Situation, bei der ich so manches Mal lieber zum Kiosk rennen und eine Bravo kaufen würde und Fr. Dr. Sommer den Aufklärungsvortritt lassen würde!