„Mama, ich gehe mit Greta und dem Hund spazieren!“, ruft mir Sam zu und ich nicke, bevor mir einfällt, dass Gretas Eltern, unsere Nachbarn, gar nicht zuhause sind. Also, wer geht denn dann mit den beiden und dem Hund??
„Wir gehe alleine!“, lispelt Sam, der es seit seiner brandaktuellen Zahnlücke sogar schafft, bei Wörtern ohne ‚s’ zu lispeln.
Bei mir gehen alle Alarmglocken an, ein Feuerwerk an Gedanken explodiert in meinem Hirn, während ich nach außen aber versuche ganz cool zu bleiben: „Aha“, sage ich extra langsam, um Zeit zu schinden.
„Jetzt bloß nicht das Kind verunsichern, Lucie“, brüllt mich eine Stimme in meinem Kopf an, „der ist fast sechs! Der wird ja wohl mal alleine um den Block gehen dürfen!“
„Aber erst ist doch erst 5 Jahre und 7 Monate“, entgegne ich murmelnd und merke natürlich selbst, wie absurd meine Argumentation ist.
Ich bin mit 4 alleine zum Kindergarten gelaufen. Und jetzt kriege ich hektische Flecken, weil mein Sohn mit einer 9-Jährigen und Hund alleine um den Block will? Im Hellen. Wo ist mein Problem?? Aber wohin soll ich mit meinen ganzen Horrorszenario Gedanken, die ich hier gar nicht auflisten will. Ich fechte einen innerlichen Kampf in Sekundenschnelle.
„Gut“, sage ich und versuche das Zittern aus meiner Stimme zu verbannen. „Wo geht ihr denn lang?“
„Also, aus dem Haus und dann links“, sagt Greta und zeigt nach rechts, „und dann über die kleine Straße und dann einmal um den Spielplatz rum und zurück.“
Okay, mache ich mir Mut, das schaffe ich.
Die beiden machen sich auf den Weg, ich hänge kopfüber aus dem Fenster, was wahrscheinlich wesentlich gefährlicher ist, als der Spaziergang der Kinder. Ich hatte Sam extra genötigt, seine grellgrüne Jacke anzuziehen, damit ich und jedes Auto ihn besser sieht. Und tatsächlich leuchtet er wie eine tanzende Boje, als die beiden mit dem Hund den Bürgersteig hinunterschlendern.
Alleine für die ersten 30 Meter brauchen die beiden gefühlte 15 Minuten. Der alte Dackel schnüffelt an jedem Stein. Die Kinder unterhalten sich und wechseln sich mit der Leinenverantwortung ab.
An der Straße angekommen, halte ich die Luft an. Es stehen noch andere Menschen am Rand und warten. Beide Kinder schauen brav ungefähr achtmal nach links und rechts – ach was soll`s, ich habe mitgezählt! Es waren exakt achtmal! Alle anderen Menschen überqueren bereits die Straße, aber Sam zeigt auf ein ca. 500 Meter weit entferntes, sehr langsam fahrendes Auto und bleibt zur Sicherheit stehen. Danach entdeckt Greta noch einen Fahrradfahrer, der sich ebenfalls in verkehrssicherer Entfernung befindet und keine potentielle Gefahr darstellt, aber beide scheinen sich zu beratschlagen und warten lieber ab. Mittlerweile haben bereits 39 Passanten die Straße überquert, meine Position am Fenster ist nicht nur gefährlich sondern auch extrem unbequem und am liebsten würde ich brüllen: „Jetzt geht doch ENDLICH!!!“
Und als ob sie es gehört hätten, überqueren sie die autofreie Straße. „Loslassen, Lucie“, flüstere ich mir zu. 10 Minuten später sind sie wieder zuhause. Stolz wie Oskar. Und mindestens einen Kopf größer.
So, wie ich auch. Aber die Druckstellen an meinen Unterarmen waren bis Mitternacht noch zu sehen!
P.S. Als ich meiner Freundin Raffaella davon erzähle sagt sie: „Och, beim ersten Mal bin ich hinterhergeschlichen!! Es fehlte nur noch die Perücke aus der Verkleidungskiste!“
Zum Glück bin ich nicht alleine…
Tags: Mütter
1 Comment
Ohhhh warst Du mutig. Ich habe das auch schon durch und bin weit hinterher gegangen, da er ganz alleine war und mit Hund ums Haus ist. Er hat mich erwischt und meinte nur Oh Mama Du alte Schisserin, ich kann das. Ich bin schon groß. Ok beim nächsten Mal und ja er schafft es und kommt immer groß und stolu nach Hause.