Reisen führt im besten Falle immer zu einem Perspektivwechsel : Man lernt andere Abläufe kennen, anderes Essen, der festgefahrene Kopf wird durchgeschüttelt. Und auch in punkto Kindererziehung kann man ganz neue Ansätze entdecken.
„In England sagten mir immer alle, mein ältester Sohn sei ein Genie“, erzählte mir Adita, „aber ich habe immer abgewunken: Das hat nichts mit Genie zu tun. Er ist eine alte Seele, er war schon sehr oft da und hatte viele Leben zum Üben. Und jetzt kann er es natürlich schon viel besser.“
Adita wurde in Colombo geboren, lebte in Amerika, Australien und England und ist Mutter von drei Kindern. Und sie ist, wie knapp 70 % der Bevölkerung Sri Lankas Buddhistin. Für Buddhisten ist die Wiedergeburt eine Selbstverständlichkeit wie für die Katholiken die unumstößliche Tatsache, dass Maria eine unbefleckte Empfängnis hatte.
Wer jetzt aber das Bild vor Augen hat, dass Adita mit wehenden Saris und Räucherstäbchen herumläuft und sie in die Ecke „leicht meschugge“ stecken möchte, der vertut sich gewaltig. Adita ist eine bildschöne, stilsichere Geschäftsfrau und ehrlich gesagt möchte man bei ihr nicht auf der falschen Seite des Tisches sitzen. She is a tough cookie.
Als Buddhistin ist die Wiedergeburt für sie völlig normal und eine Selbstverständlichkeit, die sie in ihren Alltag integriert. „Mein zweiter Sohn ist eine jüngere Seele“, erzählt sie weiter, „der tut sich mit allen Dingen sehr schwer. Da kann man als Mutter nur eines tun: Das Selbstbewusstsein stärken und Geduld haben.“
Und während sie so erzählt, denke ich: „Egal, ob man an die Wiedergeburt glaubt oder nicht, diese Sichtweise schenkt einem eine andere Perspektive auf Kinder und Kindererziehung. Da steckt ganz viel Poesie drin.“
Es hat nicht das hysterische „Oh Gott, mein Kind ist ein GENIE!!“ oder „Oh mein Gott, mein Kind kriegt nichts auf die Kette!“, sondern es birgt eine Milde in sich und etwas Liebevolles, was mir bei uns mit allem Förderwahnsinn in alle Richtungen immer fehlt.
Ich schaue mir Sam oft an und denke, was habe ich da eigentlich zu sagen? Die bringen soviel Eigenes mit, da kann man nur noch ganz sanft die Weichen stellen oder vielleicht auch nur die Schienen von ein bisschen Unkraut befreien.
„Wenn man Kinder hat, dann kommt man immer wieder zurück. Oft ist man dann auch mit ihnen verbunden. So glauben wir Buddhisten.“
Wer sich jetzt ängstlich fragt, was hat sich die Lucie denn am Wochenende eingeworfen, den kann ich beruhigen, es war alles legal.
Aber ganz unabhängig davon, ob man Buddhist ist und an die Wiedergeburt glaubt oder nicht, ist es nicht eine immense Erleichterung, den Rahmen größer aufzuziehen? Und nicht nur versteinert und starr vor Angst auf das nächste Schuljahr zu schauen? Oder verunsichert zu sein, ob das Kind bereits mit 2 Jahren Seilhüpfen kann oder nicht?
Ist es nicht eine fast streichelnde Erleichterung, den Gedanken zuzulassen, dass wir – also unsere Seele – mehr als einen Zyklus zum Lernen zur Verfügung hat und dass wir alle mehr als eine Gelegenheit bekommen? Und dass unsere Kinder ihre eigenen Aufgaben und Übungen mitbringen und wir eigentlich hauptsächlich dazu da sind, sie mit viel Liebe zu betrachten und sie zu begleiten und zu stärken? Wir alle haben in Form unserer Kinder originelle Unikate geschenkt bekommen. Und Unikate soll man bekanntlich weder kopieren noch verändern, sonst verlieren sie das, was sie ausmacht.
Und lässt diese Sichtweise nicht auch einen milderen Blick auf uns als Mütter und Eltern zu? Also, mir wird es bei diesen Gedanken gleich viel leichter.
In diesem Sinne: Guten Wochenstart, viel Spaß mit euren Unikaten. Und auf mehr Poesie in der Kindererziehung!
Tags: Erziehung Mütter Traditionen
13 Comments
Mir geht das Herz auf bei deinen Worten liebe Lucie und du hast soo recht!!
Oh, danke! So soll es sein!
Liebe Lucie,
natürlich wollen wir für unsere Kinder nur das Allerbeste. Und dadurch kommt es doch viel zu oft zu einem Übereifer, von dem ich mich leider auch nicht freimachen kann.
Deine Geschichte über Adita und ihren Blick aufs Leben (und das Leben danach) hat mir unglaublich gut gefallen.
Das hat mich heute dazu gebracht, mal wieder zu entschleunigen und über die wesentlichen Dinge des Lebens nachzudenken.
Danke!
Liebe Grüße
Nicola
Liebe Nicola,
wie schön! Ich muß mich auch immer wieder daran erinnern. Jetzt geht es gerade noch, weil der Urlaub noch so nah ist…. Herzliche Grüße Lucie
Danke, Danke…. Für den Denkanstoß! Jonathan kommt nächstes Jahr erst in die Schule, aber auch ich mache mir hierzu viel Gedanken… Wie dieser leicht verwirrte, liebenswert chaotische Zappelphillip bloß mal ein SCHULKIND werden soll.
Ich versuch es mal ganz locker anzugehen… 🙂
LG Susanne
Sehr gerne! Und ich weiß, wie es Dir geht. Wenn ich mir meinen Sohn anschaue denke ich auch immer:“ Die Schule für ihn muß noch erfunden werden…“
Lieben Gruß
Lucie
Danke für deine wörte! Als Mama von 4 Kinder sprichst du mir aus der Seele!
Sehr schön geschrieben und bin völlig deiner Meinung! Wir brauchen mehr Poesie-in der Erziehung aber auch was das Leben und der tot betrifft.
Die auch eine tolle Woche!
Nadine.
Danke Dir für den Kommentar!
Schönen Tag
Lucie
Liebe Lucie,
ich habe auch schon einiges über Wiedergeburt gelesen und wünsche mir, daran zu glauben, weil es echt vieles im Leben und im Umgang mit anderen Menschen, nicht nur unseren Kindern, vereinfacht. Das mit dem daran glauben ist nicht ganz so einfach zu realisieren. Ich arbeite daran. In diesem Sinne eine angenehme Woche. LG Katinka
Liebe Katinka, ich weiß gar nicht, ob man darum glauben muß. Reicht nicht schon der Gedanke, das es andere Menschen gibt (und zwar SEHR viele), die einfach einen anderen Ansatz haben? Und, dass der eigene Ansatz nicht unumstößlich ist? Ich finde schon das nimmt den Druck aus der ganzen Sache.
Lieb Gruß! Lucie
Liebe Lucie,
ich war gerade auf einer Messe in Dänemark, auf der ich einen schottischen Schriftsteller kennenlernte, der vor Jahren beim Anblick eines Fotos (Bäume, Tal, Nebel) aus Deutschland von unsäglichem Heimweh befallen wurde. Er ließ sich genetisch testen und es wurden friesische Wurzeln ermittelt (crazy, was man alles machen kann!!). Seitdem lernt er fleißig Deutsch und fährt in jedem Urlaub hierher. Das hat mich tief berührt, glaubte er zwar auf Nachfrage nicht explizit an Wiedergeburt, aber lebt natürlich mit dem „Wissen“ eines alten Lebens. Super spannend, super lehrreich. Ich werde mir heute mal meine Kinder ansehen und ihre Seelenalter schätzen. Kann man ja auch mal bei sich selbst versuchen, oder? Schönen Tag noch, ihr Wanderer!
Ich habe mich früher oft gefragt, warum alle, die an Wiedergeburt glauben, NAHEZU immer Kaiserinnen, Königinnen, Zauberinnen waren. Da hat sich aber mal niemand gemeldet und gesagt: Tja, war nur kurz auf der Erde, schweres Leben als Küchenjunge (warum wird man eigentlich als Frau als Frau wiedergeboren, auch seltsam, gibt es da etwa Genderregularien?) und zack, Rübe ab. Danach kam ich als Hund oder Maikäfer!!
Ich finde das Thema super aufregend, auch beängstigend, aber in Hinblick auf Erziehung sogar extrem entlastend und ein Zugewinn an Spielfreude, oder?
Ich war nämlich der besagte Küchenjunge so, jetzt ist es raus!
Schöntag
Agneta
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