Am 30. November wird Sam 3 Jahre alt. Ich sehe eindeutig aus, als ob er seinen zehnten Geburtstag feiert. Und fühlen tue ich mich, als ob sein Abitur ansteht.
Der erste Geburtstag war für mich ein riesiger Meilenstein. Ich habe das gefeiert, als hätte ich den Mount Everest bestiegen, in Flip-Flops und ohne Sauerstoffmaske. Sam war der Tag relativ egal. Er fand, dass das bunte Geschenkpapier schön raschelte. Ich finde, an ersten Geburtstagen sollte man vor allem den Eltern gratulieren.
An seinem zweiten Geburtstag hatten wir für Sam Sophie, die Tochter unserer Nachbarin Martha, und seinen Freund Jesaja eingeladen. Er wohnt auch bei uns im Haus und ist drei Monate jünger als Sam. Die übrigen Gäste waren Freunde von uns. Es gab Waffeln, gerührte Eltern, zu viel Prosecco und einen knatschigen Sam, der seine Party fast verschlafen hätte. Um 18 Uhr gingen alle unter totalem Zuckerschock und hysterisch nach Hause. Ich kippte noch einen lauwarmen Prosecco runter und wollte nur noch ins Bett.
Den dritten Geburtstag habe ich schon seit Wochen im Kopf fertig geplant. Die Einladungsliste steht:
Mara, aus der Kita
Sophie, Tochter meiner Nachbarin Martha
Jesaja, der Nachbarsjunge
Pädagogisch höchst wertvoll hatte ich die Anzahl der Gäste an den dritten Geburtstag angepasst: Für jedes Lebensjahr einen Gast.
Vor drei Wochen fing Sam das erste Mal an, von seinem Geburtstag zu sprechen. Morgens um 6.57 Uhr in seinem Bett, noch nicht ganz wach sagte er: „Habe birthday, Mama. Will Birthday Party.“ Wie kam der nur darauf? Ich konnte ihm verständlich machen, dass das an diesem Tag nicht stattfinden wird, sondern erst an seinem richtigen Geburtstag. Seit diesem Morgen aber ist seine Reaktion, wenn ich ihn frage: „Weißt Du was wir heute Nachmittag machen?“, grundsätzlich ein verschwörerisches Lächeln: „Jaaa, meine Birthday Party“.
Mein Problem ist nicht so sehr, das er jeden Tag feiern will. Ich find auch, dass man gar nicht genug feiern kann. Was mich wirklich stresst, ist die Tatsache, dass er ganz eigene Pläne für den Tag hat. Noch nicht mal drei Jahre alt, läuft er mir total aus dem Ruder und will allen Ernstes mitreden.
Zunächst dachte ich noch, ich tue einfach nur so, als ob ich ihn mitbestimmen lasse. Ich krieg den schon dahin, wo ich ihn haben will. Aber es kam noch schlimmer. Die Gästeliste ist das eigentliche Drama und vor allem lässt er einfach nicht mit sich reden. Ich dachte schon, dass die Besprechung der Tischordnung an unserer Hochzeit nicht zu toppen sei. Weit gefehlt.
Ich beging nämlich auch den Kardinalfehler und stellte die gut, aber nicht ernst gemeinte Frage: „Wen willst du denn einladen?“ und gaukelte ihm vor, dass er eine Wahl hätte. „Mimi und Benjamin“ lautete die prompte Antwort. Ich musste lachen. Mimi ist auch eine Nachbarstochter, allerdings ist sie schon acht Jahre alt und interessiert sich für Sam nur, wenn es sonst absolut keine anderen Alternativen gibt. Ihr Bruder Benjamin ist fünf und findet Sam ein „Baby“.
„Wirklich?“, hakte ich nach. Ich fand das sehr amüsant. „Ja, so mache wir das“, betonte er, „und Bea und Tom.“ Das sind die Eltern der beiden. Also, auf der Liste für meinen eigenen Geburtstag wären die auch. Aber da herrscht ja auch allgemein eine andere Altersstruktur. Ich lachte das weg, dachte bei mir „Ach, süß“.
Seitdem führen wir täglich Gespräche über die Gästeliste. Ich lasse mich da nicht unterkriegen, aber er ist stur. Wenn ich nachfrage, ober er nicht vielleicht doch Mara einladen will, dann zuckt Sam mit den Schultern und seufzt: „Leider nein, Mama. Leider.“ Auch meine anderen Vorschläge werden abgeschmettert.
Samstagmorgen wollte ich meinen Kopf durchsetzen. Solange der seine Füße unter meinem Tisch hat, bestimme ICH wer zu seinem Geburtstag kommt. Ich insistierte, hakte nach, ließ nicht locker. Bis Sam mich richtig anschnauzte: „Mama, habe No gesagt. No, no, no.“
Und dann klang er auch noch so, wie ich klinge, wenn mir abends die Hutschnur platzt, weil ich einfach nur will, dass er ins Bett geht. Nicht nur, dass ich meine Gästeliste nicht durchsetzen kann, jetzt hält der mir auch noch einen Spiegel vor. Das ist wirklich demütigend.
Der dänische Familienpsycho-Guru Jesper Juul würde mir wahrscheinlich zu einem großartigen freien Kind gratulieren, das mit drei Jahren schon Entscheidungen trifft. Und mich würde er wahrscheinlich auf die Couch schicken. Sams Patentante Hilly schüttelt nur den Kopf: „Selbst schuld, wenn du den allen Ernstes einbeziehst.“
Also, in der Theorie bin ich ja auch total für freien Willen. Und ich bin der größte Gegner dieser ständigen Gewinn-Verlust Bilanz, in der alles immer sinnvoll sein muss. Ist es der pure blanke Neid, der aus mir spricht, wenn ich sehe mit welcher Freiheit Sam seinen Geburtstag plant? Nach dem Motto: „Den finde ich nett, der soll kommen. Die anderen sehe ich ja oft genug.“ Ich hätte mich selbst niemals getraut, bei meinem letzten Geburtstag den Apotheker einzuladen, obwohl ich den wirklich saunett finde. Während Sam also auch auf die Gefahr hin, von seinen Gästen links liegen gelassen zu werden, das tut worauf er Lust hat, bin ich damit beschäftigt der Norm zu entsprechen. AUA! Das ist keine schöne Erkenntnis. Und die auch noch durch einen Dreijährigen zu erfahren, doppelt demütigend.
Vor Sams Geburt habe ich zwar ganz fleißig alle möglichen „go with the flow“-Kurse besucht, um dann natürlich trotzdem eher nach dem Motto „my way or the highway“ zu leben. Das war sehr praktisch. Ist auch nicht richtig aufgefallen. Jetzt werde ich demaskiert …. und zwar von einem Dreijährigem. Das muss ich erst mal verdauen.
P.S.
Waren gerade einkaufen. Im Supermarkt war ein großes Regal mit Geburtstags-Deko: Girlanden, Tischdecken, Servietten etc.
Ich: „Och, guck mal, die Tischdecke mit den Piraten und den Fischen. Die können wir doch für Deinen Geburtstag kaufen.“
Sam: „No, die da, Mama! Will horse“ und zeigte auf die pinke Tischdecke mit rosa Blumendekor und einem Pferd in der Mitte.
So riecht Freiheit!
Tags: Erziehung Jesper Juul waterloo
3 Comments
Herrje, man kann bei diesen Geschichten einfach keinen Kaffee trinken – da geht mindestens die Hälfte daneben. Vielen Dank für die lang anhaltenden Lacher, Lucie. Ja, der dritte Geburtstag ist total wichtig: da bekommen sie das erste Mal wirklich mit, was Sache ist. Was bin ich froh, daß unsere dicht aufeinander folgenden Geburtstage für dieses Jahr schon alle hinter uns liegen. Nur noch Weihnachten dieses Jahr – das mache ich doch mit Links.
So sympathisch ich Lucie finde, so sehr ist mir Sam bereits an’s Herz gewachsen. Bin sehr gespannt, wie die Geschichte weiter geht.
Jedesmal so erfrischend, einfach herrlich zu lesen, was mich erwartet, wenn Felix nicht eins wird, sondern drei 🙂
huhu!
lach!
der 3. geburtstag,grins,
den hab ich 4x hinter mir und am 30. wird mein großer 15!
liebe grüße aus berlin von leila!