Zum Abschluss des ersten Terms (die Engländer unterteilen das Schuljahr in 3 Semester, also das 1 Semester ist jetzt durch) und bevor die Osterferien anfangen, findet in Sams school noch eine Aufführung statt: Dieses Jahr wird „Noahs Ark“ gegeben. Die Proben liefen in den letzten Wochen anscheinend schon auf Hochtouren, aber Sam hat mir nichts davon erzählt.
Nur durch ein kurzes Memo der Schule, das Sam am letzten Schultag doch bitte Grau tragen solle, habe ich überhaupt davon erfahren. Auf dem Zettel war „Lion“ durchgestrichen und durch „Wave“ ersetzt. Wurde er degradiert? Vom Löwen zur Welle? Muss ich mir Sorgen machen?
Ehrlich gesagt bin ich gespannt, ob er überhaupt auf der Bühne stehen bleibt. Im Februar gab es bereits eine kleine Chor-Performance seiner Gruppe. Das war ein Desaster. Sam sah mich im Publikum sitzen, heulte los und stürmte von der Bühne, um dann bei mir auf dem Arm mit zu summen.
Am Abend vor der Performance klopfe ich vorsichtig die Lage ab: „Und, freust du dich auf morgen?“ Seine Antwort: „Nope! Ish wollte die Tiger sein aber meine teachers habe gesagt, da gibt es keine tigers. Aber in meine Buch gibt es Tigers!“ Das stimmt tatsächlich. Haben die vielleicht eine andere Version von der Arche Noah?
Ich erkenne sofort, dass die Stimmung nicht gut ist und versuche es anders: „Wen spielt denn dein Freund Haruto?“ Sam: „Er spielt Noah.“ Okay. Das nennt man gelebte diversity. Sam erzählt weiter: „Und Greta hat gecried weil sie auch eine wife sein wollte. Aber Lily und Tessa und Issi sind schon wifes und die teachers hat gesagt, das ist enough.“ Das finde ich allerdings auch. Seit wann hat Noah denn DREI Ehefrauen? Aber er will nicht weiter drüber reden.
Am nächsten Morgen versuche ich es nochmal, erhalte aber eine klare Absage: „Ish like die stage not! Ish mag die stage nur, wenn keine Mamas und Papas da sind!“ Das ist ungünstig. Ich versuche, ihm den Sinn und Zweck von Theaterstücken zu erklären und scheitere kläglich. Der kleine Mann verschränkt die Arme und schaltet auf Durchzug.
Und genauso wie ich wusste, dass die Nachmittage im Kindergarten zu lang für ihn sind, weiß ich jetzt, dass er auf diese Bühne muss. Manchmal gibt es einfach Klippen, die man nehmen muss und ich weiß, dass er es in sich hat und es schaffen kann.
Also fange ich an zu erzählen: „Weißt du Sam, als ich ein kleines Mädchen war, da hatte ich auch eine Schulaufführung. Und meine Mama hat mir ein Katzenkostüm genäht. Und als ich auf die Bühne sollte, da hatte ich so schlimme Schmetterlinge im Bauch, dass mir ganz schlecht war. Und dann habe ich all meinen Mut zusammen genommen und bin auf die Bühne gegangen. Und das Gefühl danach, Sam, wenn man was macht, obwohl man Schmetterlinge im Bauch hat, ist ganz toll! Erinnerst du dich daran, als du auf dem Spielplatz vom Piratenboot springen wolltest und dich zuerst nicht getraut hast? Als du es dann aber gemacht hast, warst du ganz stolz. Erinnerst du dich daran?“
Er schaut mich mit großen Augen an und nickt. „Mama, kannst du mir die `schichte noch mal erzählen?“
Bis wir bei der Kita angekommen sind, habe ich die Geschichte ca. dreiundvierzigmal erzählt. Ich liefere ihn ab, eine Stunde später sollen alle Eltern zur Aufführung wiederkommen. Marc und ich treffen uns vor der Tür und sind beide sehr gespannt, was passieren wird.
Wir sitzen im Zuschauerraum. Alle Kinder werden auf die Bühne geführt, Sam hat eine gemalte Welle am Hals. Er ist aufgeregt. Ich weiß so gut, wie er sich fühlt. Ich erinnere mich an meine erste Moderation, als ich aufgebretzelt und mit schweren Klunkern behangen, aber zitternd hinter dem Vorhang stand. Am Handy war mein bester Freund, dem ich ins Ohr jammerte: „Ich kann da nicht raus. Ich muss mich bestimmt auf der Bühne übergeben!“ Zum Glück habe ich das nicht getan.
Sam sieht mich und ruft: „Mommy, come here!“ Oh Gott, mir bricht das Herz. Ich würde am liebsten sofort aufspringen und ihn in den Arm nehmen. Aber ich weiß, dass ich ihm das nicht abnehmen kann. Ich werfe ihm einen Kuss zu und flüstere: „Ich bin hier!“
Das Stück beginnt. Sam, „the wave“ sitzt neben Elsa „the wind“ und ihm kullern große Tränen über die Wangen. Seine Lehrerin wischt im liebevoll die Tränen ab und hält seine Hand. In der Reihe vor mir sitzen die Mütter von Haruto, Jimmy und Avi. Alle drehen sich zu mir um und lächeln mir mit Tränen in den Augen aufmunternd zu. Harutos Mutter ist so gerührt von Sam, dass sie mit der einen Hand ihren Sohn filmt und mit der anderen meinem Sohn einen Luftkuss nach dem anderen schickt. Marc und ich müssen schlucken und versuchen uns zusammenzureißen.
Sam beruhigt sich und singt sogar mit. Und dann kommt sein großer Moment. Der große Auftritt, in dem „the Wave“ einmal quer über die Bühne von rechts nach links und wieder zurück laufen muss. Es erinnert eher an einen Hasen, aber die kleine Welle hopst ganz alleine einmal quer über die Bühne und zurück auf seinen Platz. Alle Mütter in der Reihe vor mir drehen sich zeitgleich wie in einer Choreographie um und flüstern sehr laut mit tränengefüllten Augen: „HE DID IT!!!“ Ich wische mir auch eine Träne weg. Marc schluckt und räuspert sich. Noch nie war ich so stolz auf eine Welle!
Nach dem Abschlussapplaus rennt Sam zu mir und springt mir in die Arme. Ich küsse ihn ab und wiederhole immer wieder, wie stolz ich auf ihn bin. „I did it!“, sagt er. „Mama, ish habe imma an deine schichte denkt! Immer und immer!“
Die Welle hat die Klippe genommen. Jetzt können wir die Osterferien beginnen. Die dauern hier allen Ernstes 4 Wochen. Mir wird schlecht.
Tags: Erziehung Mütter
10 Comments
Selbst beim Lesen hab ich Tränen in den Augen. Daumen hoch für eure kleine tapfere Welle ♥
*schnüff* ja wirklich – eine sehr mutige, tapfere kleine welle! 🙂 großartiger sam!!!
Noch eine Mama, der die Welle in die Augen gespuelt ist. Wie schoen. Well done Sam, herzlichen Glueckwunsch und schoene Osterferien…
Jaaaa. Ich habe auch Pipi in den Augen und obwohl ich euch nicht persönlich kenne, bin ich sehr stolz auf Sam 🙂
Hach, sehr schön!
Made my day!
I <3 SAM ! -ganz grosses Kino- !
was für eine schöne Geschichte, zum hinschmelzen
Ich kann genau nachvollziehen wie stolz man in so einem Moment als Mutter ist. Mein 3-jähriger Sohn durfte letztes Jahr beim Kindergartenfest vor dem Programm mit der Triangel einmal im Kreis laufen, um das Zeichen zu geben, dass alle ruhig sein sollen. Er war so stolz und ich auch.
Ihr seid eine tolle, inspirierende Familie und ich liebe deinen Blog, liebe Lucie
DANKE, das ihr euch alle so zauberhaft mit mir freut! Da habe ich gleich wieder Pipi in den Augen! 🙂
Happy thursday!
So schön, ich sehe alles bildlich vor mir!
So jetzt schnell das Augen Make up erneuern…… Super gemacht Sam ! Herrliche lange Osterferien, wir haben nur vier Tage !?
LG Alexandra