Unsere Nachmittage in Berlin sahen normalerweise so aus:
Ich hole Sam von der Kita ab, wir gehen nach Hause und es sind 5 Kinder im Hof, mit denen er spielen kann. Wenn kein Kind da ist, dann gehen wir in die Wohnung und dann dauert es meistens keine 3 Minuten, bis irgendein Nachbarkind an der Tür klingelt und mich mit den Worten begrüßt: „Heute esse ich bei Sam!“ oder „Kann Sam bei mir essen?“ Damit sind das Nachmittagsprogramm und das Abendessen geklärt.
In London ist das anders. Zum einen wohnen bei uns im Haus keine Kinder, sondern nur „Boring Erwachsene“, wie Sam sagt (die allerdings gut kochen können, denn es riecht jeden Tag köstlich nach Basmatireis mit immer neuen Kräutervarianten) und hier verabredet man sich um einiges offizieller.
Meine amerikanische Freundin Amy schrieb uns vor kurzem eine Email und lud uns und 3 andere Freunde ihres Sohnes ganz offiziell 8 Tage im Voraus ein. Als wir ankamen hatte sie ein Buffet mit Käse und Prosecco für die Eltern aufgebaut. Prosecco ist natürlich eine großartige Idee, wenn 5 Jungs im Alter von 4 Jahren zusammen die Wohnung auseinandernehmen. Meine schwedische Freundin Sonja brachte das allerdings ins Schwitzen: „Oh dear, muss ich da mithalten? In Schweden gibt es Äpfel und Bananen für die Kinder und das war’s.“ Meine japanische Freundin Michiko wiederum beschäftigte vor allem die Größe des Wohnzimmers: „Ich kann euch niemals alle einladen. Unsere gesamte Wohnung ist so groß wie dieses Zimmer. Und außerdem kenne ich das gar nicht aus Japan, das man sich gegenseitig einlädt.“
Was Sam in London wirklich vermisst, sind die Kinder, mit denen er eigentlich immer – und in Vielzahl – zusammen war, wenn er nicht gerade schlief. Vergangenen Freitag haben wir dann seine neuen Freunde zu uns eingeladen: sein amerikanischer Freund Avi, sein schwedischer Freund Jimmy und sein japanischer Freund Haruto. Sam ist im Glück. Marc ist etwas irritiert: „Aber das ist ja fast wie ein Kindergeburtstag!“ „Richtig“, sage ich, „darum nimmst du dir am Freitag ja auch frei.“
Am Freitagmorgen ist Sam bereits um 4.30 Uhr wach. Die Aufregung. Wir fühlen uns alle wie vor einem Kindergeburtstag. Dabei ist es doch „nur“ ein Playdate! Um 13 Uhr kann Sam kaum noch gerade stehen. Ich zwinge ihn zum Mittagsschlaf.
Um 14.30 Uhr klingelt es an der Tür und der Wahnsinn nimmt seinen Lauf. Es ist tatsächlich wie ein Kindergeburtstag. Kira, Avis Schwester war so neugierig wie es bei Sam ist, dass sie auch mitgekommen ist. Alle sind schon bei der Begrüßung so überdreht, dass ich fieberhaft überlege, wie sich das Wohnzimmer möglichst schnell in eine Gummizelle umbauen lässt.
Die Jungs einigen sich innerhalb von Sekunden, dass sie Star Wars spielen wollen. Nur leider gibt es nicht genug Lichtschwerter. Aber zum Glück habe ich gerade eine Großpackung Küchenrollen gekauft. Schnell wird das Papier abgerollt und 5 glückliche Kinder kämpfen mit Papprollen in der Hand gegen Marc, der in seiner Gastrolle als Darth Vader brilliert. Es wird über die Couch gesprungen, unter den Tisch geklettert und die Treppe zwischen den Schlafzimmer und dem Wohnzimmer hoch und runter gerannt. Oder gerutscht.
In der Küche stapelt sich das abgerollte Papier zwischen dem Mehl und dem Teig für die Franzbrötchen. Denn Sam hat sich fest vorgenommen mit seinen Freunden „schinamonrolls“ zu backen. Nach einer Stunde wildem Kampf sind alle im Eimer. Darth Vaders Hand ist verstaucht, Jimmy hat die letzte Stufe unserer Treppe zur Toilette verpasst und sich einmal lang hingelegt. Sam bricht überdreht und aus Übermüdung und Aufregung in Tränen aus. Das gemeinsame Backen der Franzbrötchen soll etwas Ruhe reinbringen, artet aber in unserer 4 qm Küche mit 5 Kindern zu einer Mehlschlacht aus. Aber was soll’s? Wir haben ja mehr als ausreichend, bereits einsatzbereites Küchenpapier.
Um 17 Uhr wird zum Aufbruch geblasen. Haruto ist klitschnass geschwitzt und während Michiko ihn anzieht fragt sie mich überrascht: „Ist das normal in Europa, dass die Väter sich um die Kinder kümmern?“ Der kleine Schwede war als einziger ohne Begleitung da und wird jetzt von seinem Vater abgeholt, denn seine Mutter Sonja ist beruflich in Stockholm. Meine amerikanische Freundin Amy freut sich auf zuhause, denn da darf sich das Kindermädchen mit den überdrehten Kindern rumplagen. Und während sich ein müder, aber auch glücklicher Sam auf meinen Arm kuschelt, denke ich: „Ja, ich vermisse unsere Nachmittage in Berlin. Ich genieße es aber auch, so viele Nationen mit so unterschiedlichen Bräuchen auf einem Haufen zu haben.“
P.S. Nächste Woche haben wir endlich das ersehnte Playdate mit Lily Clementine!! Das war schwieriger zu organisieren als ein Date bei der Queen. Liverticker vom Date folgt! Eventuell auch Live-Webcam…
Tags: Klischees London
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Ach ja, solche Playdates kenne ich aus Dubai auch – sie haben aber auch etwas Gutes: die Mütter lernen sich ebenfalls kennen und wenn man neu in der Stadt ist, lernt man selber auch die ein oder andere Freundin kennen. Und mittlerweile sind meine Kinder in der Schule und es ist wie in Berlin im Mietshaus: Eine der Töchter kommt immer angelaufen und sagt nur schnell Bescheid, dass sie den Nachmittag da oder dort verbringen wird. Findet sich alles…