Es regnet. Richtig, das ist in London jetzt nicht so irre ungewöhnlich. Aber es regnet auch in unsere Wohnung. Genauer gesagt in unser Gästezimmer, ist gleich mein Arbeitszimmer. Es tröpfelt leise durch die Decke in einen silbernen Eimer. Wie bei einer Chinese Watertorture. Umrahmt wird das Ganze von einem Geruch nach nassem Hund.
Meine Freundin und Sams Patentante Hilly kommt zu Besuch. Sie kommt die Treppen hoch in unsere Wohnung: „Ach, ist das süß hier!!“ „Ja“, sage ich, „aber ich glaube wir müssen umziehen. Es regnet rein. Ich habe schon ein paar Besichtigungstermine ausgemacht.“
Hilly ist Feuer und Flamme: „Großartig! Dann muss ich mir gar nicht diese Trash-Serien über Makler und Wohnungssuchende anschauen.“
Wir ziehen gleich los. Der Makler hat uns 5 Exposés geschickt. Eine Wohnung ist schöner als die andere. Vor allem ein kleines Häuschen hat es uns angetan. „Da ziehe ich gleich mit ein!“, sagt Hilly, „das brauchen wir uns gar nicht anzusehen. Das ist ja ein Traum!“
Wir laufen durch den Regen zu der Adresse, die doch viel weiter vom Park entfernt ist als wir dachten. Und es liegt ganz eindeutig in einer der fünf Straßen, in denen man nicht wohnen will: Messie-Nachbarn und Industriekräne. Auf den Fotos sah das Häuschen traumhaft aus, edle Möbel, schöne Böden, tolle Bäder. De facto ist es aber so klein, dass sogar ich die Luft anhalten muss, um die Treppe in den ersten Stock benutzen zu können. Marc mit seinen knapp 2 Metern würde wahrscheinlich lieber von außen durch das Fenster im ersten Stock einsteigen, als sich hier hochzuquetschen. Die schönen Möbel sind aus irgendeinem Grund (Makler: „I really dont know why they removed the furniture.“) nicht mehr da. Der Teppich ist ranzig und die Bäder oll. „It is rather well photographed“, sage ich und finde mich very british mit dieser Formulierung. Der Makler nickt. Hilly schüttelt den Kopf: „Hier kannst du alleine einziehen.“
Das nächste Objekt ist dann allerdings ein TRAUM! In Notting Hill, Dachgeschoss, vom Schnitt her identisch mit unserer jetzigen, eine Traumterrasse und der Clou: Man hat Zugang zu einem privat Park. OMG! Hilly und ich kreischen: „Das ist doch UNSERE Wohnung!!“, der Makler versteht zwar kein Deutsch, deutet unseren Ausbruch aber genau richtig. Und die Möbel? Die kommen noch rein. Die Wohnung ist voll möbliert! Toll! Der Preis: Autsch! Über Budget. Hilly schaut mich an: „Jetzt mal im Ernst: Ich ziehe hier sofort mit ein. Dann lerne ich endlich mal ordentlich Englisch und muss mich nicht dauernd von Sam korrigieren lassen.“ Ich bin total einverstanden.
Wir rufen Marc an: „GROSSARTIGE Wohnung! Leider über Budget, aber wir haben schon eine Lösung: Hilly zieht mit ein!“
21, 22… Marc: „Ernsthaft?“ Wir beide kreischen: „JAAA!“ ins Telefon. Marc: „Ich habe Angst.“ Er will mehr Details, ich wimmele ihn ab: „Wir müssen Sam jetzt abholen.“ Hilly lobt mich: „Sehr gut gemacht, Lucie, nur kurz die News mitteilen und dann keine Zeit für weitere Erklärungen haben. Dann kann es bis heute Abend sacken.“ Auch Sebastian kriegt von Hilly nur zwischen zwei Meetings ein kurzes, verbales Memo: „Schatz, ich ziehe nach London. Du bist ja sowieso immer unterwegs und am Wochenende machen wir es uns dann in London nett.“ Auch er schluckt und wird abgewimmelt.
Wir lassen den Makler wissen, dass wir die Wohnung nehmen. Seine Antwort: „Great but there is a downside to it: There’s no furniture.“ WHAT?? Aber das war doch ausgemacht. Ja, aber die Besitzerin hätte es sich anders überlegt. Wir müssten Möbel kaufen oder leihen, das sei in London ganz üblich.
Wir schauen uns alle Möbel-Leihfirmen an. Es gibt unendlich viele. Das ist eine ganze Industrie! Man kann sich Sets aussuchen, wie „Student“, „Bronze“, „Pearl“, „Emerald“ oder „Diamond“ und kriegt je nach Ausstattung ‚billig und geschmacklos’ oder ‚teuer und auch nicht geschmackssicher’.
Das schon überzogene Budget wird immer weiter überzogen, und wir brauchen ja auch Staubsauger und Flaschenöffner. Hilly und ich schlucken und sind uns nicht sicher, ob wir uns jetzt eigentlich noch den Kaffee leisten können, den wir gerade trinken, ganz zu Schweigen von der Kette, die wir vorhin im Schaufenster gesehen.
Am Nachmittag schauen wir uns mit Sam noch zwei weitere Wohnungen an: Dunkle Flure, vollgestopfte Zimmer, lila Plastikstühle auf grünem PVC. Oh Gott, das ist ja ein Alptraum. Unser jetziger Wohnungseigentümer kommt am frühen Abend vorbei. Er entschuldigt sich mit einem großen Strauß Tulpen: „I am so terribly sorry! What a bore to come to London and have a waterfountain in one of the rooms!“ Er wird die Terrasse (die Ursache des Übels) komplett neu machen lassen und uns eine riesige Mieterstattung geben. Hilly lächelt mich an: „Dann können wir uns doch jeder die Kette kaufen, Lucie!“ Wir schlagen ein. Und da unsere Wohnung ja genauso geschnitten ist wie die andere Traumwohnung fügt sie hinzu: „Einziehen kann ich ja trotzdem bei euch!“
Am Abend kommt Marc nach Hause und Sebastian wird per Telefon dazu geschaltet. Die beiden hatten sich schon an den Gedanken eines Umzugs und WG-Lebens gewöhnt und sind typisch Mann, völlig überfordert von dem hin und her. Nach einem Bier finden sie die Idee, das wir in der Wohnung bleiben, aber trotzdem eine WG haben, aber auch spitze (Hilly und ich haben uns aber auch ins Zeug gelegt).
Ehrlich gesagt, das war ein großartiger Tag. Wir haben im Schnelldurchlauf alle möglichen Ecken von London gesehen, die verschiedensten Wohnungen besichtigt und sind eingeführt worden in die geheime Welt der Möbel-Verleiher. Wir wissen jetzt unsere Wohnung total zu schätzen und haben auch noch eine neue Mitbewohnerin. So kann man eine Stadt auch kennen lernen.
Tags: London Männer & Frauen
5 Comments
Haha, lustig! Und Ihr habt es doch auch schön dort……
Und es gibt doch auch ganz hübsche Regeneimer im shabby chic-look
gruss
nina
Und nochmal willkommen in London – ich kenne im Moment niemand, bei dem es nicht rein regnet. Wie unser Vermieter meinte – well, there is an awful lot of rain…
🙂
Herrlicher Beitrag, ich musste echt lachen 🙂 Klingt ja sehr spannend euer Abenteuer London, ich bin gespannt was du sonst noch so berichten wirst! Übrigens hat mich das Buch von Caro und Isa neugierig auf dich gemacht… echt bewundernswert wie du alles so meisterst und deine Karriere weiter wächst!
Liebe Grüße, Janina
Oh, vielen Dank! Freut mich, dass Du den Weg hierher gefunden hast! Und danke für die Blumen!!