„Mama, kann ich leider eigentlich zu Luis gehen?“, sagte Sam gestern Nachmittag zu mir. Soll heißen: Sam will zu Luis. Die Wörter ‚leider‘ und ‚eigentlich’ sind zurzeit hoch im Kurs und werden in jedem Satz untergebracht. Manchmal macht es Sinn, meistens nicht. Aber man kann es ja mal probieren.
Schwere Worte murmelt er zurzeit stundenlang beim LEGO-spielen vor sich hin: „Kakaninchen… no… Kikaninchen, Kikaninchen.“ Mein persönlicher Favorit ist „Schullelung“ für Entschuldigung. Ich hoffe inständig, dass ihn niemals jemand verbessert und er noch in 5 Jahren „Schullelung“ sagt. Schön ist auch Bungalong für Luftballon. Oder wenn er mich ganz wichtig anschaut und sagt: „Mama, brauche Schnulli bitte, kann ich besser see.“
Sam packt morgens seine Malhefte und Stifte zusammen und will „in school gehen.“ Gestern Morgen sagte er zu mir: „Gehe heute leine Kita. Bin groß.“ Klar, mein Schatz. Dazu muss man wissen, dass seine Kita 15 Minuten Fußmarsch und 3 große Straßen von unserem Haus entfernt ist.
Am Abend davor hat er interessanterweise 30 Minuten lang die Bude zusammengebrüllt, weil ich es gewagt habe, ihn zu fragen, ob er nicht mal wieder alleine einschlafen könnte. Seine Antwort war laut und klar: „Neeeeeein, kann ich nich. Bin baby, Mama!!“ Die Tränen rollten sofort. Ich weiß nicht, wie der es schafft, immer so auf Kommando los zu weinen. Als ich nachhake, ob er es nicht mal wenigstens probieren möchte, schrie er hysterisch und unter noch mehr Tränen weiter: „Bisse nicht mehr meine friend, Mama, please, du muss bleibe.“
Das ist eine herrliche, nervige, süße, verwirrende Phase. Manchmal auch zum Kotzen. Entweder er kuschelt auf meinem Arm und will eine Milchflasche oder die Fahrrad-Luftpumpe ist ein Gewehr und er ist ein Räuber. Dazwischen gibt es relativ wenig Spielraum. Er kickt Bälle durch die Bude, auch wenn ich ihn noch so oft daran erinnere, dass wir Glastüren haben. Gut, Rücksicht von einem Dreijährigen zu erwarten ist idiotisch, die wenigsten Erwachsenen können das. Immer wenn ich davon anfange singt Raffaella mir ihr Lieblingslied von Hoffmann und Hoffman vor: Rücksicht. Sie muss nur anfangen zu summen, dann bin ich schon ruhig.
Nur manchmal verwirrt mich diese Diskrepanz zwischen großer Klappe und Hasenbaby etwas und ich verpasse den Wechsel von dem einen Extrem ins andere. Wenn ich Sam bitte seine Bücher in sein Zimmer zu bringen, traut er sich nur an meiner Hand den Flur runter. Das ist genau der Flur, den er keine fünf Minuten vorher auseinander genommen hat und der Ort schwerer Schwertkämpfe war.
Wobei, wenn ich ehrlich bin, dann habe ich diese Angst vor Fluren heute auch noch manchmal. Wenn Marc nicht da ist, schließe ich die Wohnungstür doppelt ab und stelle noch einen Stuhl davor. Am liebsten würde ich in solchen Nächten, dass Sam bei mir im Bett schläft. Er will aber lieber bei sich schlafen, und soviel versteh ich von Psychologie auch, dass es nicht gesund ist einen Dreijährigen zu zwingen im Elternbett zu schlafen, nur damit ich mich sicherer fühle. Ich reiße mich also meistens zusammen, Sam ist viel mehr im Hier und Jetzt.
Ich erzähle gestern Raffaella beim Kaffee von Sams Phase. „Das ist wirklich total normal, Lucie, und auch altersgerecht. Da gibt’s dieses Buch ‚Oje ich wachse‘. Ist ausnahmsweise mal nicht von Jesper Juul.“
Mein Kind ist also nicht shizophrener als andere Dreijährige. Das ist ja schon mal beruhigend. Trotzdem hake ich nach: „Aber Sam schwankt zwischen Größenwahn und Schüchternheitsattacken.“ Raffaella lacht:„ Du meinst so wie du, Lucie? Ist doch super. Dann könnt ihr beide ja voneinander lernen.“ Mmh, auch eine interessante Perspektive.
Tags: Erziehung Jesper Juul Vorbild
1 Comment
Oh, was bin ich nun beruhigt, nachdem ich hier von doppelt abgeschlossenen Türen mit Stuhl davor lese ;-). Wenn mein Mann unter der Woche nicht da ist, da wird das Haus (SOBALD es dunkel wird) von mir zu Fort Knox umgewandelt. Auch habe ich zusätzlich jede Öffnung des Hauses nach Außen zusätzlich „gesichert“ – ich kann jetzt nur nicht detailliert darüber berichten – es könnten ja tatsächlich mal Einbrecher ihr Glück versuchen ;-).
„Mama, brauche Schnulli bitte, kann ich besser see.” Das merk‘ ich mir. Habe mich halb bewußtlos gelacht… Ich liebe Sam’s Aussprüche…