„Mama, warum lingeln die church bells nich?“, fragt Sam mich letzte Woche morgens auf dem Weg zur Kita. Wir radeln gerade an einer Kirche vorbei, ich versuche einigermaßen sicher durch den Verkehr zu kommen und grunze ihm anstatt einer Antwort irgendwas zu. Er plappert weiter, als ob ich ihm ausführlich geantwortet hätte. „Mama, weiß du, die habe keine money.“ Ich falle vor Lachen fast vom Rad.
Woher hat der das? Liest er heimlich Spiegel online oder den Vatikan Ticker? Ich kann mich nicht erinnern, in seiner Gegenwart jemals über die finanziellen Engpässe der Kirche gesprochen zu haben.
In solchen Momenten denke ich immer: Warum machen wir Eltern uns eigentlich immer so wahnsinnig viele Sorgen darüber, ob unsere Kinder ausreichend fürs Leben gewappnet sind? Die haben es doch alle faustdick hinter den Ohren.
Am Samstag waren wir bei der Taufe von Raffaellas Tochter Greta eingeladen. Greta hatte schon seit Wochen gesagt, dass sie Taufe doof findet und auf keinen Fall getauft werden will. Aber Raffaella ist natürlich drüber hinweggegangen: „Wenn wir dann erst in der Kirche stehen, dann wir das schon.“
Ich hätte das genauso gemacht. Würde ich immer und allen Wünschen von Sam nachkommen, dann hätten wir die letzten Monate im Schlafanzug auf dem Teppich verbracht. Nur, wir reden hier ja von Raffaella, der Jesper Juul Kreuzritterin!
„Sag mal, Raffaella, ich meine mich da an ein Kapitel über ‚die Integrität des Kindes‘ erinnern zu können“, ich kann es mir nicht verkneifen. „Seit wann liest du denn die Bücher, die ich dir leihe“, raunzt sie mich an und versteckt ihren Kopf in der Kaffeetasse.
Samstagmorgen um 10 Uhr stehen wir gestriegelt vor der Kirche. Greta sieht bezaubernd aus mit einem kleinen Blumenkranz in den Haaren. Raffaella rennt wie ein aufgeschrecktes Huhn herum: „Heute morgen hat sie gleich dreimal hintereinander gesagt, das sie nicht will. Oh Gott, ich hoffe, das geht nicht schief.“
Die Feierlichkeiten beginnen, Sam bohrt in der Nase und will sich auf die Kirchenbank stellen: „Kann nich see, Mama.“ Dann ist Greta dran. Sie geht nach vorne und sagt mit fester Stimme, so dass man es auch in der letzten Bank hören kann: „Keine Spucke vom Kirchendirektor auf meine Stirn.“ Grabestille. Ich vernehme unterdrücktes Prusten. Der Pastor muss husten.
Autsch, das saß. Raffaella wird kalkweiß, dann knallrot, hechtet nach vorne, um die Situation zu retten, aber Greta wiederholt ihren Satz einfach noch mal, nur lauter. Jetzt hat ihn auch wirklich jeder gehört. Dann dreht sie sich um und stampft aus der Kirche. Raffaella und wir alle hinterher.
Raffaella flucht, versucht Greta zu bestechen, der Pastor kommt ebenfalls vor die Tür und versucht zu schlichten. Ich bin begeistert.
Jetzt mal ganz ehrlich: Wenn das hier die nächste Generation ist, dann haben wir doch wirklich nichts zu befürchten. So standhaft, so unbestechlich, so clever und so eigen wie die sind, sind zwar unsere Renten nicht gesichert, aber die werden wahrscheinlich eines Tages eine Lösung finden, damit sich Sandkuchen tatsächlich in Kuchen verwandeln kann. Ich glaube, wir können beruhigt sein.
P.S.
Der Pastor kam abends noch mal zu Raffaella und wollte mit Greta sprechen. Greta blieb zunächst hart. „Da muss ich wirklich mal drüber nachdenken“, sagte er grübelnd. Aber ganz Frau war Greta kompromissbereit: „Ich bringe Wasser selbst mit und helfe dir… aber nich morgen“ Man bleibt also im Gespräch… und was ist Glaube, wenn er nicht dehnbar ist?
Tags: Erziehung Jesper Juul Mutterwürde
2 Comments
Ich liege mit Tränen in den Augen vor Lachen in meinem Büro. Seit Tagen kann ich nicht aufhören diesen Blog zu lesen, mein Freund ist total genervt! Bin auf Seite 23 von 29, ich muss mir unbedingt Dein Buch kaufen. Mit 25 bin ich noch weit entfernt vom Muttersein, aber Dein Blog ist die beste Vorbereitung auf all das, was mir dann blüht. Und wie ich mich freue! Da bekommt man ja richtig Lust.
Toll wäre es, wenn Du vielleicht über die zweisprachige Erziehung von Sam schreiben könntest. Wie habt ihr es mit ihm gehalten, wie hat er es angenommen, welche Niederlagen habt ihr durchlebt? Ich möchte mein Kind ebenfalls mal zweisprachig erziehen und bei euch scheint das ja prima zu funktionieren. Oder vielleicht hast Du ja eine Buchempfehlung. Ich würde mich sehr freuen. Und bitte hör niemals auf zu schreiben!
Liebe Judith, du glaubst gar nicht, wie sehr ich mich über Deinen Kommentar freue!!! Danke!!! Ich schreibe weiter, versprochen. Auch über zweisprachigkeit und so weiter… Ganz lieben Gruss, lucie