Sam hatte es schon immer eilig. Er kam 6 Wochen zu früh, stillte sich mit viereinhalb Monaten selbst ab und schielte jedem Käsebrot hinterher. Er war unglaublich sauer, als er mit 11 Monaten „immer noch“ nicht alleine laufen konnte. Wohin will der nur? Mit acht zum Nobelpreis?
Wenn ich mir morgens einen Kaffee mache, dann brüllt er: „Ich mach das!!“ Sollte er diese Eigenschaft beibehalten, dann wird seine Freundin in 15 Jahren mal sehr glücklich sein. Wobei es wahrscheinlich total irre ist zu glauben, dass das noch 15 Jahre dauert bis zur ersten Freundin … Nur im Moment finde ich es noch etwas früh, dass er mit kochendem Wasser hantiert. Er ist aber trotz ausführlicher und wirklich kindgerechter Erklärung („Dann hast du großes AUA“) eingeschnappt, zum Assistenten degradiert zu werden.
Vor kurzem ist er drei Jahre alt geworden – in Zahlen 3! – und packt jeden Morgen seine Tasche um „zu school“ zu gehen: Wasserfarben, Malhefte und Kuscheltiere. Und er ist fast jeden Morgen sauer auf mich oder Marc, dass wir ihn in der Kita absetzen: „Das isse nich school!!!!“
Letzten Mittwoch saß meine Freundin Raffaela bei mir. Und während ich zeitgleich Geschenke einpackte, die Spülmaschine einräumte und Emails checkte (alles während ich mich mit ihr unterhielt), fragte sie: „Wann warst du das letzte Mal so richtig dankbar, Lucie?“
Ich zuckte zusammen. Ich bin von Natur aus eigentlich nicht undankbar. Ich kann mich auch wirklich über kleine Sachen freuen. Es sei denn, mein Tempo kommt mir dazwischen.
Denn, wenn es um das Thema Tempo geht, schenken sich mein Sohn Sam und ich nichts. Diese Art von Motor ist ja grundsätzlich nicht schlecht. Zum Beispiel bin ich wirklich eine saugute Party-Organisatorin und kann in kürzester Zeit eine Location dekorieren und gleichzeitig den Gin Tonic mixen, während ich mir die Lippen nachziehe und mir die Beine rasiere.
Aber manche Sachen brauchen Zeit, wie zum Beispiel ein Buch zu schreiben oder groß zu werden. Und oftmals sind die vermeintlichen Leerläufe gerade die Momente, in denen am meisten passiert. Ich habe meist gar keine Ahnung, wohin ich eigentlich so schnell will und vor allem was ich dann mache, wenn ich angekommen bin. Glaube ich allen Ernstes ich kriege Fleißkärtchen, wenn ich am Ende meines Lebens völlig aus der Puste den Löffel abgebe? Aber gesellschaftlich liege ich damit ja voll im Trend.
Anscheinend haben wir alle im Mathe-Unterricht gepennt. Denn der Dezember ist ein Monat wie jeder andere: Man arbeitet, es werden Klassenarbeiten geschrieben und die Waschmaschine kann immer noch nicht alleine die Wäsche aufhängen.
Aber wir erwarten, dass wir am Ende des Jahres – wo es erst um 8 Uhr morgens langsam dämmert, dafür aber bereits um 17 Uhr tiefe Nacht ist – trotzdem noch den Energieüberschuss zu haben für 265 Familien-Mitglieder, Freundinnen, deren Kinder und die Nachbarn individuelle, total durchdachte Weihnachtsgeschenke am liebsten noch selbst zu basteln. Die Bude muss besonders geputzt sein, der Baum muss besonders dekoriert sein und am besten anders als im letzten Jahr und wehe, es wurde nicht wenigsten ein neues Plätzchenrezept ausprobiert.
Haben wir eigentlich alle einen Knall? Woher soll denn dieser Energievorrat kommen? Ich weiß wirklich nicht mehr viel aus dem Mathe-Unterricht, aber das erinnere ich noch: Eine Gleichung mit zu viel Variablen lässt sich nicht lösen.
Ich habe darum beschlossen, dass ich jetzt schon meine New Years Resolution umsetze. Gut, auch jetzt wieder etwas schnell, aber hier passt es glaube ich: Ich drossele das Tempo, ich mach einfach nicht mehr mit bei dieser Hetzerei.
Weihnachtsgeschenke gibt es in diesem Jahr vielleicht am 27.Dezember, weil ich lieber mit Sam im Pyjama einen Legoturm baue. Vielleicht dekorieren wir den Baum erst an Sylvester. Ich muss nur mein Ego noch in den Griff kriegen. Das sitzt mir im Nacken und flüstert: „Was denn, Lucie, schon wieder diese langweiligen lila Weihnachtsbaumkugeln? Und wolltest Du nicht dieses Jahr endlich mal Fotobücher verschenken?“ Aber vielleicht kriege ich es mit Punsch und Rumkugeln gezähmt.
Und um nochmal das Thema Dankbarkeit aufzugreifen: Ich möchte mich bei euch allen bedanken. Ich schreibe erst seit Ende September und euer Feedback ist überwältigend. Für mich ist es wie Weihnachten, wenn ich sehe, das ihr wieder einen Kommentar geschrieben habt. Danke dafür.
Wie fragil unser Leben sein kann, hat der letzte Freitag und die Tragödie in an der Grundschule im US-Staat Connecticut gezeigt. Und es bricht mir das Herz, wenn ich an die Familien denke, die nicht mehr mit ihren Kindern im Pyjama Lego bauen können.
Vielleicht sollten wir es mal mit dieser Gleichung probieren: Gesundes Tempo durch Dankbarkeit, ergibt glücklichen Erfolg und relaxte Schutzengel. Wenn mein Mathelehrer das liest, wird er mir vielleicht nicht zustimmen, aber mein Yogalehrer bestimmt!
In diesem Sinne: Eine frohe Weihnachtszeit mit euren Lieben!
Tags: Dankbarkeit Perfektionimus Weihnachten
1 Comment
Liebe Lucie, daß dieser Blog etwas ganz Besonderes ist, war ab dem ersten Post zu bemerken. Und seitdem gehören die Alltagsgeschichten mit Sam, Marc und Lucie genau so unabdingbar zu meinem Leben wie der Kaffee am Morgen. Da führt kein Weg mehr dran vorbei. Danke für diese gelungene Unterhaltung – und frohe Weihnachten!