Als ich vor Sams Geburt über Erziehung theoretisierte, war „Streiten“ ein Punkt, der mir sehr wichtig erschien. Das wollte ich ihm wirklich gerne beibringen. Aber Streiten muss gelernt sein. Das Blöde ist: Ich bin eine Streitnull. Es fällt mir wahnsinnig schwer.
Entweder ich schmolle (total albern) oder das Fass läuft so was von über und dann gnade dir Gott, wenn Du mir im Weg stehst. Bis zum Fass überlaufen laviere ich mich aber durch wie ein Aal.
Früher hatte ich richtig cholerische Anfälle mit Geschirr durch die Gegend werfen (hat sich zum Glück ausgewachsen, wurde auf die Dauer auch zu kostspielig), heute gehe ich ganz intellektuell an die Sachen ran. Da wird dann alles möglichst emotional ausgependelt diskutiert. Ich bin mir nicht sicher, was bescheuerter ist. Marc ist leider auch so ein Streit-Amateur, was es nicht einfacher macht Sam eine gute Streitkultur zu verkaufen.
Es gibt ja Familien, die streiten sich, brüllen sich an und knutschen sich keine drei Minuten danach wieder ab. Beneidenswert. Bei uns zu Hause gab es mehr so Ratespiele: Es wurde geschwiegen und man musste rausfinden, was denn eigentlich vorgefallen war. Die Atmosphäre war dann so frostig, dass man zum Aufwärmen in den Kühlschrank kroch. Das Spiel ist auf die Dauer eher öde und muss nicht unbedingt an die nächste Generation weiter gegeben werden.
Aber wie streitet man richtig gut? Vor dem Kind? Und darf man alle Themen durchstreiten? Ich will ja bloß nicht, dass Sam glaubt, wir streiten seinetwegen. Hat mein Freund Jesper dazu eine Meinung? Muss ich mal nachschlagen.
Wobei ich sagen muss, dass Sam schon durch seine Ankunft dafür gesorgt hat, dass wir uns mit dem Thema Streit überhaupt mal intensiver befassen mussten. Es sind auch viel mehr Themen über die man sich streiten kann: Wer steht nachts auf? Wer hat wie oft die Windeln gewechselt? Wenn man abends feiern war, darf man dann auch ausschlafen? Und wer übernimmt hier überhaupt welche Rolle? (Letztere Frage, große Frage und bis heute nicht vollständig beantwortet)
Als wir noch als Paar alleine waren, da hatten wir uns natürlich auch mal in den Haaren. Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht mehr worüber. Aber bei allen Streits hatte ich immer diese gedankliche Hintertür: „Pfft, dann packe ich eben meine Koffer und hau ab.“ Ja, ich war ein großer gedanklicher Kofferpacker. Heute denke ich: „Kofferpacken? Zu anstrengend. Und Sam will bestimmt auch die Kinderküche mitnehmen. Wer soll die schleppen? Und wohin? Und wer soll das bezahlen? Und außerdem bin ich zu müde. Erstmal schlafen.“ ‚Kinder haben‘ ist irgendwie die verrückteste, krasseste aber manchmal tatsächlich auch effektivste Form der Paartherapie.
Gestern hatten Marc und ich uns auf jeden Fall so richtig in der Wolle. Marc hatte sich, ohne es mit mir abzusprechen, verabredet und war einfach mal davon ausgegangen, dass ich dann zu Hause Kinderdienst schiebe. Sam saß am Küchentisch und malte. Und schaute uns sehr interessiert zu wie wir lautstark miteinander diskutierten. Also, vor allem ich war lautstark. Während ich also Marc anbrüllte (aber wirklich maßvoll, Geschirr ging nicht kaputt, und ich verkniff mir auch mit viel Mühe die schlimmsten Schimpfwörter), schaute ich immer wieder zu Sam, um zu sehen, wie der reagiert. Aber Sam malte, schaute auf, schien nachzudenken und war alles, nur nicht verunsichert. Als wir (beziehungsweise ich) fertig gebrüllt hatten, schaute er mich an und dachte immer noch nach.
Ich: „Alles ok, Sam?“ Er grübelte weiter. Und nach 5 Minuten kam dann: „Mama ruft schnell.“
Ja, so kann man das auch zusammenfassen. Ich natürlich gleich: „Das hat nix mit dir zu tun, mein Süßer.“ Und wollte schon den kinderpsychologischen Notdienst anrufen. Aber Sam sah mich an und sagte nur: „Wolle LEGO Tower mit mich baue, Mama?“
Also, irgendwas haben wir richtig gemacht, wenn Sam sich nicht aus der Ruhe bringen lässt. Und auch sehr nett, dass mein Sohn mir beibringt: Wenn ein Streit beendet ist, ist auch wirklich Schluss. Dann gilt es wieder, sich den wirklich wichtigen Dingen zuzuwenden.
Tags: Erziehung Fluchen Vorbild
4 Comments
In unserer Straße hatte eine Psychotherapeutin ihre gut besuchte Praxis. Als sie mich eines Tages erneut hochschwanger sah, mit Kleinkind an der Hand, entfleuchte ihr ein: „Ach, sie Ärmste!“ Ich war entrüstet und erzürnt über diese ungehörige Bemerkung. Bis sie mir erklärte, daß es in ihrer Praxis nur so wimmelt von jungen Paaren mit kleinen Kindern. Heute…, ja heute verstehe ich diese damalige Reaktion.
Um ehrlich zu sein fällt mir gerade ein, daß sie als allerersten Satz folgenden von sich gab: „Ach Du Scheiße!“ ;-)…
lucie lucie,
schon schlimm, wie schnell man auf diese familie und die schreibe der kindsmutter abfährt/eifersüchtig wird oder anders gesagt: sich von ihr einparfümieren lässt.
kinder sind resilient, ein glück, sonst würden lauter total chaotische kids und später menschlein herumlaufen bei dem grad an wohlstands- bzw./und/oder emotionaler verwahrlosung, den es zwischen neukölln und PBerg so gibt.
will sagen: die kleinen halten wahnsinnig viel aus. deswegen lässt sich sams haltung wohl nicht so leicht zu einer großen these heraufzoomen.
vielleicht war er sehr klug mit seiner bemerkung, die ja auch lautete: „die alte plärrt verdammt schnell und laut, soll doch mal gelassener sein, [wenn papa champions league gucken will]“ (meine übersetzung von: „mama ruft schnell“)
interessante these mit kindern als paartherapie, bisschen ego, aber so ist das nunmal. irgendein schlauer mensch hat mal aushandlungsprozesse in beziehungen (und gesellschaften) auf „exit“ or „voice“ reduziert. also, entweder du redest („schatz/mann/idiot, wir sollten mal über xy reden“) oder du gehst (kofferpacken, aber eben real und nicht im geiste).
das hiesse dann: haste kinder fällt exit aus (jedenfalls ne zeitlang, jeder balanciert schadensbegrenzung vs länge der frühen aufzuchtphase ja anders). und ohne exit als grundsätzlicher option kann einfach sehr zäh und anstrengend in den ganzen zwiegesprächen etc. werden.
anyway, toller text, wollte ich nur sagen!
http://de.wikipedia.org/wiki/Exit,_Voice,_and_Loyalty
Lieber Herr Füller,
vielen Dank für das Kompliment, auch wenn ich resilient nachschlagen musste und 2 Espressi brauchte, damit meine lahmen Gehirnwindungen Deinen Ausführungen folgen konnten. Sowas kann ich nicht! 🙂
Schönen Tag, Lucie